Ganz im Gegensatz zu heutigen Geschäftsgepflogenheiten mit dem Ziel unbedingter Konsumsteigerung hatten die Inhaber das Ladens 'Zum Zollstock' einzig im Sinn, im Interesse einer unbarmherzigen Diktatur die Rationierung eines kriegsbedingt verkappten Warenangebots um jeden Preis zu gewährleisten. Womit zugleich dem Genius loci, als Interessensvertretung auch der ehemaligen Machthaber, über die Zeiten hinweg die Treue gehalten wurde. Den Geschäftseignern geriet die Prinzipiengefolgschaft zu bestem Ansehen wie Aussehen.
Denn genau in dem Maße wie die amtlichen Zuteilungen an Lebensmitteln immer weniger und die Gesichter der Kundschaft immer spitzer wurden, war zu beobachten, wie die auf der anderen Seite der Theke von Mal zu Mal ihre Kleidung besser ausfüllten, schlagender Beweis für das Gleichgewicht der Kräfte in dieser sich wieder neu, im nationalsozialistischen Sinn formierenden Gesellschaft.
Ein kleiner Weiler irgendwo in der hessischen Provinz. Es ist ein Zufluchtsort für Evakuierte von der deutschen Westgrenze, aus Richtung Frankreich, vom wo die Alliierten vorrücken. Auch Vertriebene aus dem Osten werden angespült. Die Konfrontation mit den Alteingesessenen ist eine Herausforderung für das Gemeinwesen. Günter Kerner durchkämmt den Ort der Vierzigerjahre des letzten Jahrhunderts nach Geschichten, Originalen und Absonderlichkeiten, Straße um Straße, Haus für Haus. Wie in einem architektonischen Aufriss legt er die verdrängten und weggelegten Geschichten offen. Die Erinnerung lässt die Fundamente sichtbar werden. Wir erhalten einen holzschnittartigen Eindruck dieser für die offizielle Geschichtsschreibung belanglosen Menschen: Ein Mikrokosmos in seiner teils komischen, teils bösen Banalität.
ISBN 978-3-936950-24-3
244 Seiten, Paperback
11,90€